In der Kolonialzeit versuchten Vertreter*innen vieler universitärer Fächer, durch Herstellung von kolonialem Wissen als politikberatende und anwendungsorientierte Fächer nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch eine wissenschaftliche Daseinsberechtigung zu bekommen. Nicht nur die Geographie, sondern auch der Forschungsmainstream weiterer universitärer Fächer wie etwa Tropenhygiene oder Auslandskunde trugen dazu bei, ein ausbeuterisches Kolonialsystem wissenschaftlich zu legitimieren, das durch rassistische und menschenverachtende Ideologien die Kolonisierten zu Menschen einer untergeordneten Klasse degradierte und europäische Expansionsfantasien stützte. Auch nach dem formalen Ende des Kolonialismus wirken viele dieser im Kolonialismus angelegten Wissensstrukturen bis heute auch außerhalb der Wissenschaft fort (z.B. im Entwicklungsdenken, Bilder auf Spendenplakten, siehe hierzu White Charity).

Diana Griesinger

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[1] Quelle: Haack, Hermann: Bericht über das Verbandsjahr 1912, in: Mitteilungen des Verbandes deutscher Schulgeographen; Beilage zum Geographischen Anzeiger (Januar 1913), S. 1.

[2] Quelle: Thorbecke, Franz: Deutsche Kolonien und deutsche Geographie. In: Geographische Zeitschrift 40/5-6 (1934), S. 181-190.

[3] Quelle: Thorbecke, Franz/Thorbecke, Marie Pauline: Im Hochland von Mittel-Kamerun. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes, Hamburg 1919, S. 4.

Produktion von kolonialem Wissen an Universitäten

Hettner-Gedenkstein
Bildquelle: schwarzweiss

Die Geographie als anwendungsorientierte Kolonialwissenschaft

„Wissen ist Macht – geographisches Wissen ist Weltmacht“[1] – die koloniale Expansionspolitik nach der deutschen Reichsgründung 1871 findet ihren Ausdruck in einer Welle von Neugründungen von Fächern und Forschungsbereichen mit außereuropäischem Fokus an Universitäten. Auch an der Universität Heidelberg fanden ab 1895 regelmäßig Vorlesungen zur Geographie statt. Gleichzeitig wurden zahlreiche geographische Gesellschaften gegründet, die durch länderkundliche Vorträge das angebliche Leben in außereuropäischen Gebieten darstellten und die Begeisterung für das Leben in fernen, „exotischen“ Ländern widerspiegeln.

Die Geographie entwickelte sich zu einem anwendungsorientierten Fach, das eng mit der Kolonialpolitik verbunden war, wie Franz Thorbecke (1875-1945) in seinem Artikel „Deutsche Kolonien und Deutsche Geographie“[2] betont: „Vom Tage der ersten deutschen Flaggenhissung an den Küsten Afrikas und der Südsee-Inseln waren und sind bis auf unsre Tage deutsche Kolonien und deutsche geographische Wissenschaft eng verbunden“. Durch Forschungsexpeditionen, Kartierungen, Vermessungen und Ressourcenbewertungen lieferte die Geographie die wissenschaftliche Untermauerung zur Ausbeutung der Kolonien. Ein Gedenkstein vor dem Geographischen Institut INF 348 erinnert an Alfred Hettner (1859-1941), der als erster Inhaber eines eigenen Lehrstuhls für Geographie von 1899-1928 in Heidelberg lehrte und Vorsitzender der Heidelberger Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft war. Seine Publikation Der Gang der Kultur über die Erde (1923) zeigt das damals weit verbreitete Hierarchiedenken, das die Menschheit in „Rassen“, „Primitive“ und „Höhergestellte“ einteilte.

Koloniale Forschungsexpeditionen dienten der Erforschung „Fremder“ und „Wilder“ in den Kolonien, wobei oft unter teilweise gewaltsamen Bedingungen Forschungsmaterial gesammelt wurde, das teilweise auch aus menschlichen Überresten bestand. So brachte Hettners Assistent Franz Thorbecke aus Kamerun menschliches Knochenmaterial in die anthropologische Sammlung des Anatomischen Instituts der Universität Heidelberg („7 Schädel sowie eine Anzahl von Knochen des Rumpf- und Extremitätenskelettes“[3]) und überließ 1913 der völkerkundlichen Sammlung der Reiss-Engelhorn-Museen (Museum Weltkulturen) in Mannheim eine Aufsatzmaske des Herrschers Njoya (Bamum, Kamerun).