Erinnerungspolitik im Stadtwald: Der „Kolonialstein“

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Oberhalb der Heidelberger Altstadt auf dem sogenannten Ameisenbuckel und unweit des zur Zeit des Nationalsozialismus erbauten Ehrenfriedhofes, findet sich ein weiteres, wenn auch kleineres Stück steinerne Erinnerungspolitik. „Zum Gedenken an die 40 jähr. Kolonialgeschichte des Deutschen Reiches“ steht in einen grob behauenen, etwa einen Meter hohen Stein gemeißelt, der neben einem Brunnen direkt an der Straße aufgestellt ist. Der Gedenkstein wurde am 24.4.1924 aufgestellt, auf den Tag genau 40 Jahre nachdem die erste von Deutschen beanspruchte Region in Südwestafrika zu einem „Schutzgebiet des Deutschen Reiches“ erklärt wurde. Obwohl das Deutsche Kaiserreich bereits 1919 in Folge des Ersten Weltkrieges all seine Kolonien als Mandatsgebiete an die Siegermächte, vor allem an Frankreich und Großbritannien abtreten musste, betont der Stein ein Fortdauern deutscher Kolonialgeschichte über das Kriegsende hinaus. Das macht den Gedenkstein zu einer Quelle und zu einem Symbol eines Kolonialismus ohne Kolonien[1]:

Viele Deutsche in der Weimarer Republik, vor allem politisch konservative und solche, die zuvor an kolonialen Unternehmungen beteiligt waren, weigerten sich, den Verlust der Kolonien anzuerkennen. Für diese sogenannten Kolonialrevisionist*innen war die deutsche Kolonialgeschichte noch nicht vorbei und sie glorifizierten die Zeiten deutschen Kolonialbesitzes. Wer genau den Stein in Auftrag gegeben hat, ist nicht eindeutig geklärt. Genauso versteckt und unauffällig wie der Stein selbst, ist auch seine Geschichte. Wahrscheinlich aber steht seine Errichtung in Verbindung mit dem erinnerungspolitischen propagandistischen Engagement der zahlreichen prokolonialen Akteure, die in der Zwischenkriegszeit in der Heidelberger Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft aktiv waren, und die sich offen für einen Rückgewinn der Kolonien einsetzten.[2]

Kolonialismus ohne Kolonien im Deutschland der Zwischenkriegszeit beschränkte sich aber nicht nur auf politischen Revisionismus und kolonialpositive Erinnerung. Koloniale Denk- und Wirtschaftsstrukturen dauerten gleichfalls an. Auch wenn es keine deutschen Verwaltungen in Afrika und der Südsee mehr gab, fanden sich deutsche Siedler und Unternehmer nach 1919 in ehemaligen Kolonien. Auch blieb Kolonialismus als kultureller Aspekt des Alltagslebens der Weimarer Republik lebendig: Völkerschauen, Kolonialausstellungen, Themenabende und Diashows, Kolonialromane aber eben auch Denkmäler wie der Gedenkstein im Heidelberger Stadtwald hielten den kolonialen Diskurs lebendig.[3]

Carolin Liebisch

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[1] Zum Konzept „Kolonialismus ohne Kolonien“ siehe Osterhammel, Jürgen/Jansen, Jan C.: Kolonialismus Geschichte, Formen, Folgen, 6. Aufl. München 2009, S. 21f. Vgl. zudem Purtschert, Patricia/Lüthi, Barbara/Falk, Francesca (Hrsg.): Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, 2. Aufl. Bielefeld 2013.
[2] Schmiedel, Hans: Ein Kolonialdenkmal in Heidelberg, in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 2005/2006, hrsg. vom Heidelberger Geschichtsverein, S. 199.
[3] Zu „Kolonialrevisionismus“, Erinnerung und Kontinuitäten siehe Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 116-118.