Theodor von Gunzert
„‘Haben Sie jemals von einem Herrn Gunzert gehört?‘ – ‚Ja, in meiner Kindheit bezeichneten ihn die Leute als ‚den Grimmigen‘‘[1]
Der Name Theodor von Gunzert ist in Heidelberg weitgehend vergessen. Im Gegensatz dazu hinterließ er in Mwanza viele Spuren im kollektiven Gedächtnis der BürgerInnen der heute zweitgrößten Stadt Tansanias, dem ehemaligen „Deutsch-Ostafrika“.
Gunzert wurde 1874 in Seckenheim geboren und absolvierte anschließend das Gymnasium in Mannheim. Zwischen 1892-96 studierte er Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin. Nach kurzem Dienst in der badischen Justiz und Auslandsaufenthalten in Frankreich und Großbritannien kam er 1901 zum Auswärtigen Amt und wurde nur ein Jahr später Bezirksrichter in Hauptstadt der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ Dar es Salaam.
Nach einem weiteren Richterposten und einer Tätigkeit als Verwaltungsoffizier in den ostafrikanischen Küstenstädten Tanga und Pangani wurde er zwischen 1907 und 1916 Bezirksamtmann in der nördlich gelegenen Stadt Mwanza an den Ufern des „Viktoriasees“ (ursprüngl.: „Nyanza“). Diese beherbergte damals ca. 6000 EinwohnerInnen, darunter zahlreiche InderInnen und ca. 150 EuropäerInnen. Folgt man den Angaben Gunzerts Memoiren, wurden unter seiner Aufsicht zahlreiche Gebäude erbaut, die teilweise heute noch in der mittlerweile zweitgrößten Stadt Tansanias existieren.[2] Am detailreichsten beschreibt Gunzert dabei den Bau seines Hauses im Zentrum der Stadt, welches noch heute als „Gunzert Residence/ House“ in der Stadt bekannt ist: „Im Jahre 1912 wurde im Herzen der Stadt auf dem ‚Kalbhügel‘ schließlich ein schönes Haus für mich erbaut. Es hatte vier Zimmer, eine Küche und eine große Terrasse mit einem wundervollen Blick über den See.“[3]
Allerdings zeugen auch weitere Aspekte von Gunzert’s fast zehnjähriger Amtszeit im Norden Tansanias, so dass die deutsche Kolonialgeschichte auch heute noch im kollektiven Gedächtnis der BürgerInnen von Mwanza verankert ist. Die Praxis der Namensgebung in Tansania illustriert dies, denn neugeborenen Kindern wird oftmals ein Name zu Teil, der ein historisches Ereignis spiegelt. Wird jemand beispielsweise zu Kriegszeiten geboren, so erhält er oder sie den Namen „vita“, was mit „Krieg“ ins Deutsche übersetzt werden kann.[4] Ebenso findet sich der Name „Gunzert“ als historisches Zeugnis noch heute in der tansanischen Namengebung. Dachir*, der nur ein paar Kilometer außerhalb der Stadt Mwanza arbeitet, berichtete im September 2016: „Ja, ich habe über einen Herrn Gunzert gehört. Und es gibt immer noch Leute, die nach ihm benannt sind, um sich der Zeit zu erinnern, in der sie geboren worden sind. In diesem Fall ist das die deutsche Kolonialzeit. Beispielsweise ist sein Name Eduard* [er deutet auf seinen anwesenden Freund], aber sein Vater hieß Gunzert. Also heißt er Eduard* Gunzert.“[5]