Außereuropäische Gaststudierende in Heidelberg: José Rizal

An die Blumen von Heidelberg
Reist in die Heimat, fremde Blumen,
die ihr des Wandrers Weg gesäumt,
reist dorthin, wo er seine Lieben
beschützt vom blauen Himmel weiss.
Erzählt vom Pilger in der Ferne,
der sich nach seiner heimatlichen Erde sehnt.
(…)
Tragt meine Liebe in die Heimat,
bringt ihrer Erde, die so reich an Früchten,
Frieden,
Vernunft den Männern,
Klugheit ihren Gesundheit allen guten Menschen,
die der Geborgenheit des Vaterhauses sicher sind

Übertragen ins Deutsche von Elke und Fritz Hack Ullmer

(c) schwarzweiss

Die Zeilen stammen aus einer Übersetzung des spanischsprachigen Gedichts „A Las Flores de Heidelberg“. Das Gedicht verfasste der philippinische Schriftsteller, Arzt und spätere Nationalheld José Protacio Mercado Rizal y Alonso Realonda (geb. am 19. Juni 1861 auf Luzon/Philippinen; gest. am 30.12. 1896 in Manila) am ehemaligen Ludwigsplatz 12, heute Grabengasse.  Heute erinnert eine Gedenkplakette am Haus an seinen berühmten  Bewohner.

Rizal wurde durch das spanische Kolonialregime auf den Philippinen als ‚Mestize’ klassifiziert und erlebte seit seiner Kindheit am eigenen Leibe, nur als Mensch zweiter Klasse zu gelten[1]. Sein älterer Bruder Paciano, ein späterer General, wurde zum Zeugen der Grausamkeit der spanischen Kolonialherrschaft und beteiligte sich in reformistischen Studierendengruppen.   Die strukturelle Benachteiligung von Nicht-Weißen innerhalb des Kolonialsystems erlebte José Rizal auch während seines Medizinstudiums: Nachdem er sich von den Priestern seiner Universität diskriminiert fühlte, entschloss er sich, sein Studium an der Universidad Central de Madrid in Spanien zu beenden. Nach seinem ausgezeichneten Abschluss spezialisierte er sich zuerst in Paris auf Augenheilkunde, bevor er im Jahr 1886 für mehrere Monate an der Universitäts-Augenklinik in der Bergheimer Strasse als Assistent von Prof. Otto Becker als Assistent arbeitete – auch, um seiner von Erblindung bedrohten Mutter helfen zu können. Sowohl in Heidelberg wie auch in Berlin, wo er der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte Rudolf Virchows beitrat, muss sein Auftreten „so manchem verquasten Rassentheoretiker, der im Dunstkreis der dieser Gesellschaft wirkte, als unbequeme Antithese erschienen sein“, schreibt Prof. Dr. Marc Frey über seine Rizals Zeit in Deutschland[2].

José Rizal ©wikimedia commons

Berühmt wurde er allerdings nicht durch seine ärztlichen Fähigkeiten, sondern durch seine schriftstellerische Tätigkeit. Neben Gedichten und zahlreichen hinterlassenen Briefen aus dieser Zeit vollendete er in Heidelberg seinen autobiographischen Roman „Noli me tangere“. Das Buch wurde von Rizal als ein Roman konzipiert, der das Elend der kolonisierten philippinischen Gesellschaft offenlegen sollte. 1887 in Berlin herausgegeben, kritisierte der Roman das spanische Kolonialsystem und die Verstrickungen der Römisch-Katholischen Kirche und ihrer spanischen Priesterschaft – von Korruption, Enteignung und Gewalt bis hin zu sexuellem Missbrauch der einheimischen Frauen durch die spanischen Kleriker. Rizal war schon vor seiner Heidelberger Zeit Mitglied in der so genannten Propaganda-Bewegung philippinischer Studierender an verschiedenen westeuropäischen Universitäten, die sich gegen das ausbeuterische Kolonialsystem der Spanier wandten.

Wie wir aus seinen Briefen entnehmen können, hinterließ die Heidelberger Zeit tiefgreifende Spuren in seinem Denken. Rizal kam in Heidelberg in Kontakt mit den dringlichen innenpolitischen Fragen des jungen Kaiserreichs: Nationale Ideen, aber auch soziale Gerechtigkeit und Freiheitsrechte beeinflussten ihn nachhaltig – über Begegnungen mit Mitstudierenden und Burschenschaftlern, aber vor allem seinen langen Gesprächen mit dem protestantischen Pfarrer Karl Ullmer aus Wilhelmsfeld bei Heidelberg, bei dem er auch die letzten Wochen seines Studienaufenthalts wohnte.

„Noli me tangere“ wurde sofort nach seinem Erscheinen in den Philippinnen verboten, gewann aber dennoch rasch an Popularität und wurde im Geheimen vervielfältigt. Identifizierten sich Menschen auf den Philippinen zuvor eher mit der eigenen Region, wurden die Romancharaktere zu Identifikationsfiguren für eine neue Generation junger philippinischer Intellektueller, die eine Unabhängigkeit der Philippinnen forderte – auch wenn Rizal keine direkte Loslösung, sondern eher eine stärkere Repräsentanz der Philippinen in der spanischen Zentralregierung und Verwaltungsreformen forderte. Wegen Anstiftung zur Rebellion und zum Verrat wurde Rizal 1896 hingerichtet. Er gilt bis heute als Vater der philippinischen Nationalbewegung.

Rizal ist nur ein Beispiel für zahlreiche außereuropäische Studierende in Heidelberg. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gelingt es der Universität immer erfolgreicher, diese anzuziehen, so z.B. den Dichter, Religionsgelehrten und späteren pakistanischen Nationaldichter Muhammad Iqbal (geb. 9. November 1877 in Sialkot; gest. am 21. April 1938 in Lahore).[2] Iqbal, der als geistiger Vater Pakistans gilt, begann um 1900 nationalromantische Gedichte auf das damals noch nicht geteilte und unter britischer Kolonialherrschaft stehende Indien zu verfassen.

Iqbal-Ufer (c) schwarzweiss

1905 zog es Iqbal nach Cambridge, wo er sich begann mit Hegel auseinander zu setzen. Das Interesse an Hegel brachte ihn schließlich auch nach Heidelberg. Hier verliebte er sich in seine Deutschlehrerin Emma Wegenast, die ihn mit deutscher Literatur und Philosophie, v.a. Goethe, Heine und Nietzsche bekannt machte. Nach dem Abschluß seiner Promotion in München kehrte er 1908 wieder nach Lahore zurück.

Die Auseinandersetzungen mit Goethe und deutscher Philosophie beeinflussten Iqbals Islaminterpretation maßgeblich. Er entwarf eine Philosophie der Selbstverwirklichung, die nicht nur Individuen, sondern auch Völkern die Fähigkeit zuschrieb, zu sich selbst zu finden – wodurch die Legitimität der britischen Kolonialherrschaft, die auf der erzieherischen Rolle des Empires beruhte, in Frage gestellt wurde. An seine Zeit in Heidelberg erinnern heute sowohl ein Gedenkstein an dem von ihm benannten Iqbal-Ufer als auch eine Tafel an seinem ehemaligen Wohnhaus an seine Zeit in Heidelberg

Sowohl Rizal als auch Iqbal waren von Heidelberg fasziniert und erhielten hier wichtige intellektuelle Impulse. Als Kritiker ihrer durch Kolonialismus geprägten Heimatländer fanden sie in den politischen Debatten des deutschen Reichs vor dem Ersten Weltkrieg Anregungen, die später die antikolonialen Bewegungen ihrer Heimat entscheidend beeinflussen sollten. Heidelberg war also nicht nur Ausgangspunkt tatsächlicher wie auch ideologischer Kolonialunternehmungen gewesen. Die an der Universität diskutierten Fragen inspirierten auch zu Kritik und Widerstand gegen koloniale Strukturen weltweit.

_____________________

[1] Craig, Austin: Lineage, Life and Labors of Jose Rizal, Philippine Patriot. A study of the growth of Free Ideas in the Trans-Pacific American Territory, Whitefish 2010.

[2] Dharampal-Frick, Gita/Qasmi, Ali Usman/Rostetter, Katia (Hrsg.): Muhammad Iqbal. Essays on the Reconstruction of Modern Muslim Thought, Heidelberg 2010; Hillier, H. Chad (Hrsg.): Muhammad Iqbal. Essays on the Reconstruction of Modern Muslim Thought, Edinburgh 2015.

[3] http://www.wilhelmsfeld.de/philippinische-beziehungen.html