Völkerkunde zwischen Kolonialismus und nationalsozialistischer Ideologie – Die Portheim-Stiftung und das Völkerkundemuseum

Das Völkerkundemuseum (c) schwarzweiss

In Heidelberg begann – wie im Rest Deutschlands – 1945 der Wiederaufbau. Die zurückliegenden Schreckensjahre sollten ein für alle mal beendet und vergessen werden. Das Völkerkundemuseum in der Stadt am Neckar stand dabei vor einer besonders schweren Aufgabe. In den Jahren zuvor hatten NS-treue Kurator*innen die völkerkundliche Sammlung den ideologischen Vorgaben des Regimes untergeordnet. Ganze Sammlungsbestände waren verschwunden oder im Krieg zerstört worden. Nun mussten die Ausstellung und die dahinter stehende Sammlung ganz neue Anforderungen und ideelle Vorgaben erfüllen. Doch dies war nicht die erste Anpassung des Museums an die sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Sammlungs- und Ausstellungskonzepte sind immer ein Spiegel des kulturellen und historischen Umfeldes, in dem sie sich befinden. Gleichzeitig prägen sie dieses Umfeld, indem sie eine bestimmte Sicht auf die Welt an die Besucher*innen vermitteln. Völkerkundemuseen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von Vorstellungen, wie andere Kulturen leben, denken und sich „entwickeln“. Diese Vorstellungen werden geprägt durch politische Interessen und ideologische Grundsätze. Um ein dementsprechendes Bild der „fremden“ Kulturen zu vermitteln, werden willkürlich einzelne Objekte aus diesen anderen kulturellen Umfeldern entnommen und im Museum in einer neuen Weise angeordnet. Dadurch wird deren ursprüngliche Bedeutung stark verändert und orientiert sich an den Bedürfnissen und Realitäten der ausstellenden – und nicht der ausgestellten – Gesellschaft.

Die meisten Völkerkundemuseen entstanden während der Zeit des Kolonialismus. Die einzelnen Ausstellungsstücke wurden von Kolonialreisenden, teilweise gewaltsam, zusammengetragen und anschließend der kolonialen Ideologie entsprechend in Szene gesetzt. Noch einige der heutigen Ausstellungsformen gehen direkt oder indirekt auf die Kolonialzeit zurück. Die Aufarbeitung dieses problematischen Erbes steht in Deutschland erst am Anfang. Prominentestes Beispiel dafür sind die Forderungen einiger afrikanischer Staaten nach Rückgabe der unter der deutschen Kolonialherrschaft geraubten menschlichen Knochen.

Das Heidelberger Völkerkundemuseum bietet sich durch seine wechselvolle Geschichte für eine Aufarbeitung an. Dies wird deutlich, wenn man die Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte betrachtet. Den Grundstein legte das Ehepaar Goldschmidt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Unter dem nachfolgenden Kurator Alfred Zintgraff, einem ehemaligen Kolonialbeamten und überzeugten NSDAP-Mitglied, wurde die Sammlung radikal dem nationalsozialistischen Weltbild angepasst. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühten sich Kuratorium und Stadtverwaltung darum, diesen Teil der Geschichte vergessen zu machen.

Alles begann mit einer Weltreise des wohlhabenden Ehepaares Goldschmidt. Den damaligen Vorstellungen einer großbürgerlichen Bildungstour folgend, trugen die Eheleute 1894/95 in den von ihnen bereisten Ländern Souvenirs verschiedener Art zusammen. Als sie 1919 die „Josefine und Eduard von Portheim Stiftung für Wissenschaft und Kunst“ gründeten, wurde aus diesen Souvenirs der Grundstein der Sammlung des stiftungseigenen ethnographischen Instituts. Der Verlauf der Weltreise sollte die daraus entstehende Ausstellung nachhaltig prägen. Die Reiseziele des Ehepaars bestimmten zu einem guten Teil die geographischen Schwerpunkte der Sammlung. Dem damaligen Interesse an den „frühen Hochkulturen“ folgend, besuchten Victor und Leontine Goldschmidt Länder wie China, Indien und Ägypten. Viele der bereisten Gebiete blieben Schwerpunkte der Sammlung und wurden weiter ausgebaut. Zu diesem Zweck kaufte das Ehepaar gezielt Objekte, die als „landestypische“ Sets von deutschen Ethnographika-Händlern angeboten wurden. Darüber hinaus blieb die Sammlung auch den auf der Reise eigentlich zufällig zusammengetragenen Objektgruppen, zum Beispiel Musikinstrumente, Spielzeuge oder Bücher, verpflichtet.[1]

Victor Goldschmidt vertrat naturphilosophisches Gedankengut, insbesondere in Bezug auf das Kunstverständnis. Diesem Ansatz folgend glaubte er an die Unterteilung der Kunst in verschiedene Entwicklungsstadien, vom „Primitiven“, Einfachen hin zum Komplexen. Er unternahm eigene Forschungen zum „Farbensinn der Völker“, wobei er davon ausging, dass bei „primitiven Gesellschaften“ die Fähigkeit Farben zu unterschieden wenig ausgeprägt sei. Diese Fähigkeit entwickele sich erst im Zuge des Fortschreitens der „Zivilisation“, was sich anhand der Farbanwendung in der Kunst nachvollziehen lasse. Damit stand er den damals verbreiteten evolutionistischen Theorien nahe, welche außereuropäische Gesellschaften als geschichtslos, bzw. in der (westlichen) Vergangenheit verharrend darstellten. Die ethnographische Sammlung diente dabei der wissenschaftlichen Untermauerung sowie der Verbreitung seiner Theorie. Dementsprechend heißt es in der Stiftungsurkunde: „zur Förderung vorgesehen sind: […] aus dem Bereich der Kunst: Kunst der Naturvölker, der alten und der exotischen Kulturen, Volkskunst, Kunsthandwerk, Jugendkunst, Volksmusik und Musik primitiver und fremder Kulturen.“[2] Die von Victor Goldschmidt hier vertretene Vorstellung von außereuropäischen Gesellschaften, steht im Zusammenhang mit dem Kolonialismus. Die Herrschaft über Menschen anderer Weltregionen wurde mit eben diesem Bild der „primitiven Wilden“ gerechtfertigt, denen gegenüber die europäischen Nationen einen „Zivilisierungsauftrag“ hätten.

Die bereits unter den Goldschmidts bestehenden kolonialen Bezüge des Museums wurden unter Alfred Zintgraff um ein Vielfaches verstärkt. Schon allein der Werdegang des neuen Kurators verdeutlicht dies.

Als Kolonialbeamter war er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Tansania, dem damaligen Deutsch-Ostafrika und später in diplomatischer Funktion in Abessinien tätig. Während dieser Zeit sammelte Zintgraff zahlreiche völkerkundliche Objekte. Nachdem er 1923 dem Kuratorium der Portheim-Stiftung beitrat, brachte er seine eigene Sammlung in die Bestände der Stiftung ein. Er wurde von Victor Goldschmidt mit der Ausstellungskonzeption beauftragt und ließ von Anfang an sein koloniales „Wissen“ mit einfließen. Zunächst gestaltete Zintgraff die Afrika-Abteilung um und ordnete sie bis Ende der 1920er-Jahre nach seinen Vorstellungen. Der Schwerpunkt wurde nun vermehrt auf Masken, ausgestopfte Tiere, Waffen, lebensgroße Puppen und Modellhütten gesetzt.

Zu diesem Zweck wurde eine ganze Sammlung über die von den Deutschen in Namibia unterworfenen Herero angekauft. Bei der Umgestaltung der Ausstellung profitierte Zintgraff von den Kontakten zu anderen ehemaligen Kolonialbeamten.[3]

Die zunehmende inhaltliche Beschränkung und politisch-ideologische Ausrichtung der Sammlung werden anschaulich, wenn man die schrumpfende Anzahl der Institute der Portheim-Stiftung betrachtet. Während Mitte der 1920er-Jahre zwölf Stiftungsinstitute bestanden hatten, waren es Mitte der 1930er-Jahre nur noch drei: Ethnographie, Volkskunde und Kristallographie. Zintgraff baute auch die Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg aus. Er erhielt 1931 einen Lehrauftrag für Mandats- und Kolonialpolitik. Nach der Machtübernahme durch das nationalsozialistische Regime übernahm er die Leitung des neu gegründeten Deutschen Auslandsinstituts und hielt in diesem Rahmen regelmäßig Vorlesungen zum Thema „Grundlagen und Entwicklung der neuzeitlichen Kolonialreiche“. Diese Zusammenarbeit ging so weit, dass Zintgraff der Universität Bestände der Stiftungsbibliothek überließ, um die so genannten „Kolonialwissenschaften“ zu unterstützen.

Nach dem Tod Victor Goldschmidts im Mai 1933 baute Zintgraff seinen Einfluss weiter aus. Als sich Leontine Goldschmidt im Zuge der Nürnberger „Rassegesetze“ 1935 gezwungen sah, ihren Kuratoriumsvorsitz niederzulegen, übernahm Alfred Zintgraff die Leitung der Stiftung auch formell. Aufgrund seines schlechter werdenden Gesundheitszustands musste er sich aber bereits vier Jahre später von der Leitung zurückziehen.

Alfred Zintgraffs Einfluss lässt sich so zusammenfassen, dass er die gesamte Ausstellung zu einem Mittel der Kolonialpropaganda und der nationalsozialistischen Rassenideologie umgestaltete. Dies ist ein deutlicher Bruch mit dem Sammlungskonzept Victor Goldschmidts. Die ausgestellten Objekte, insbesondere die lebensgroßen Puppen, dienten einzig und allein dem Zweck die Überlegenheit der „nordischen Rasse“ gegenüber den „primitiven Rassen“ darzustellen. Als Maßstab für die Beurteilung der anderen „Völker“, diente deren vermeintliche Nähe zu den damals als „deutsch“ geltenden Charaktereigenschaften und Kulturformen. So wurden beispielsweise die Japaner aufgrund angeblichen Ehrgefühls und die „Polynesier“ wegen ihrer Fähigkeit zur Seefahrt als relativ weit „entwickelt“ eingestuft. Von den Menschen Afrikas dagegen wurde behauptet, sie befänden sich im Kindheitsstadium der Menschheit.

Die Ausstellungen unter Zintgraff wollten die Besucher_innen davon ausgehend zu der Schlussfolgerung führen, dass Deutschland in den dargestellten Weltregionen „Erziehungsarbeit“ mit „harter Hand“zu leisten habe. Damit sollte auf emotionaler Ebene für die Rückgewinnung der Kolonien geworben werden.[4]

Der neue Kuratoriumsvorsitzende Eugen Fehrle war, wie auch Zintgraff, überzeugter Nationalsozialist. Er hatte allerdings nicht das kolonialpolitische Interesse seines Vorgängers. Als einer der führenden Ideologen der nationalsozialistischen Volkskunde sowie Leiter des Volkskundlichen Instituts der Universität Heidelberg, war ihm vor allem an der Darstellung der „nordischen Rasse“ gelegen. Fehrle war bereits 1931/32 für die Abtrennung der volkskundlichen Sammlung von der völkerkundlichen Abteilung verantwortlich und setzte diesen Kurs weiter fort. Die finanziellen Mittel wurden zunehmend weg von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit außereuropäischen Kulturen und hin zur Ausstellung der eigenen Kultur verlegt.

Neue Ausstellungsschwerpunkte waren die Brauchtümer, religiösen Vorstellungen oder das künstlerische Wirken verschiedener deutscher Regionen. Andere Weltregionen hatten nur noch als Beleg für die weltgeschichtliche Bedeutung des Nationalsozialismus einen Platz in der Ausstellung. So wurden zum Beispiel bolivianische und westafrikanische Objekte gezeigt, auf denen dem Hakenkreuz ähnelnde Zeichen zu sehen waren.[5]

Eugen Fehrle bemühte sich wie bereits sein Vorgänger Zintgraff um die Verdrängung der jüdischen Geschichte der Portheim-Stiftung. Ein Schritt in diese Richtung war 1938 die Änderung des Namens in „Heidelberger Stiftung für für Wissenschaft und Kunst“. 1941 wurde dann die Satzung den neuen ideologischen Vorgaben entsprechend geändert. Nichts sollte mehr an die jüdischen Stifter*innen Leonore und Victor Goldschmidt erinnern.

Fehrle führte auch die enge Bindung an die Universität Heidelberg fort. Er war von 1942 bis 1943 Dekan der Philosophischen Fakultät und von 1943 bis 1945 Prorektor der Universität. Er übergab dem Anthropologischen Institut zahlreiche Objekte aus dem Stiftungsbestand, die im Verlauf des Krieges verloren gingen.

Eugen Fehrle ordnete die Sammlung bedingungslos der nationalsozialistischen Ideologie unter. Die völkerkundliche sowie die volkskundliche Ausstellung dienten nur noch dazu, das „deutsche Bauerntum“ als überlegene und charakterstarke nordische „Rasse“ zu stilisieren. Fehrle war ein fanatischer Vertreter der „Reinheit der Rasse“. Er wollte mittels der ethnographischen Ausstellung aufzeigen, wie sich das „germanische Erbgut“ trotz verschiedener „artfremder Einflüsse“ seine „Reinrassigkeit“ erhalten habe.[6]

Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur wurde Fehrle als Kuratoriumsvorsitzender abgesetzt und 1949 als „Nutznießer“ des NS eingestuft. Es wurde ebenfalls versucht, seinen Einfluss auf das Sammlungs- und Ausstellungskonzept der Stiftung rückgängig zu machen.

Die Volkskunde galt nach 1945 als nationalsozialistisch motivierte Wissenschaft und damit als nicht mehr tragbar. Dementsprechend konzentrierte sich die Arbeit der Stiftung seitdem wieder ganz auf die Völkerkunde, wobei dieser Name bis heute beibehalten wird.[7]

Jan Diebold

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[1] Schlichtenberger, Clara: Die Ordnung der Welt. Die Sammlungs-Grammatik Victor Goldschmidts, des Gründers der völkerkundlichen Sammlung der von Portheim-Stiftung in Heidelberg, und die seiner Kuratoren (Kultur im Wandel, Bd. 8), Pfaffenweiler 1998, S. 138-140.
[2] Ebd., S. 85f.
[3] Ebd., S. 153f.
[4] Ebd., S. 174-176.
[5] Ebd., S. 184f.
[6] Ebd., S. 195-197.
[7] Ebd., S. 186f.